Positionspapier der TLPK zur Zukunft des Hochschulbaus in Thüringen

Eine moderne und zeitgemäße Hochschulinfrastruktur ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Thüringen im nationalen und internationalen Vergleich. Veränderte Bedarfe sowie zukünftige Rahmenbedingungen der Finanzierung erfordern eine Strategie für den Hochschulbau in Thüringen. Mit diesem Papier adressiert die TLPK die Bedarfe des Thüringer Hochschulbaus und leitet darauf aufbauend Empfehlungen ab.

1. Bedarfe

Bedingt durch die rasante Digitalisierung, neue innovative Konzepte in der Lehre (didaktische Konzepte, hybride Lehrformate), aber auch Entwicklungen in der Forschung (Interdisziplinarität, Forschungsförderung) haben sich die Bedarfe in der baulichen Infrastruktur der Hochschulen in den letzten Jahren nicht nur verändert, sondern vor allem haben sich diese Bedarfsänderungen deutlich beschleunigt. Dieser hohen Dynamik stehen langwierige Prozesse der Beantragung, Planung und Realisierung gegenüber.

1.1 Bedarfe in Studium und Lehre

  • Innovationen in der Didaktik, wie experimentelle, interaktive und kooperative Formate in der Lehre gewinnen an Bedeutung. Die räumlichen Voraussetzungen sind dafür oft nicht gegeben.
  • Im Zuge der Digitalisierung erfolgt eine Hybridisierung der Lehre. Die Ausgestaltung der Infrastruktur muss nahtlose Übergänge zwischen digitalem und physischem Lernort berücksichtigen.
  • Mit der Bologna-Reform erfolgte eine Diversifizierung des Studienangebots, wodurch die Anzahl der Studiengänge bzw. von Studienvertiefungsrichtungen gestiegen ist. Daraus leitet sich ein erhöhter Bedarf an kleineren Räumen gegenüber großen Hörsälen ab.
  • Es fehlen Rückzugsräume für das Selbststudium sowie die Teilnahme an digitalen/hybriden Formaten und Begegnungszonen bzw. neue Lernumgebungen für das Lernen in Kleingruppen.

1.2 Bedarfe in der Forschung

Mit Blick auf den Hochschulbau lassen sich drei Trends in der Forschung an Hochschulen identifizieren:

  • Der Trend zur Interdisziplinarität, um große gesellschaftliche Herausforderungen zu adressieren, und die damit einhergehende Einrichtung von Verbund- und Kollegstrukturen z.B. auch für große strukturierte Programme etwa der DFG, bringen veränderte Raumanforderungen hervor, wie z.B. die zeitweise räumliche Zusammenlegung verschiedener Fachbereiche/Forschergruppen, aber auch Flächen für (ungeplante) Interaktion, Besprechungen, etc.
  • Die Drittmittelfinanzierung stellt gerade an den Universitäten einen wesentlichen Baustein der Forschungsfinanzierung dar. Das Vorhalten einer modernen und zeitgemäßen (Forschungs-)Infrastruktur bedeutet einen Wettbewerbsvorteil bei der Einwerbung von Drittmitteln und muss daher über eine auskömmliche Grundfinanzierung des Landes gewährleistet sein.
  • Spitzenforschung gerade in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern verbunden mit zunehmend datenintensiven Methoden erfordert geräteintensive Forschungsinfrastrukturen, die einerseits zu erhöhter Flächennachfrage, andererseits – z.B. bei Geräteerneuerung, zu teuren Umbauten führen.

1.3 Bedarfe im Bereich Transfer

Transferaktivitäten werden als eine zunehmend wichtige Aufgabe von Hochschulen angesehen. Neben den Transfers über Köpfe (Absolventen) und Wissen (Publikationen, Patente) spielen Kooperationsprojekte eine große Rolle gerade auch zur Sicherung und Steigerung der Innovationsfähigkeit der Thüringer Unternehmen. Gerade die Campus der Universitäten in Jena und Ilmenau zeigen beispielhaft, dass sich Ausgründungen und Unternehmen campusnah ansiedeln. Dies sollte bereits in Vorstufen zielgerichtet unterstützt werden, indem Flächen für Ausgründungen aus der Hochschule oder für Transferprojekte mit Unternehmen vorgesehen werden.

Transfer ist jedoch nicht allein auf Unternehmen beschränkt, Hochschulen haben auch eine Verantwortung für Wissenstransfer in die Gesellschaft. Die Öffnung des Campus für lebenslanges Lernen und interessierte Bürgerinnen und Bürger erfordert daher ebenfalls geeignete räumliche Rahmen.

1.4 Bedarfe an „Zwischenräumen“ und Barrierefreiheit

Für die Thüringer Hochschulen stellt die Attraktivität ihrer Campus einen besonderen Faktor bei der Gewinnung und Zufriedenheit von Studierenden dar. Die Bindung an die jeweilige Hochschule und soziale Gemeinschaft unterstützt die Wahrnehmung der eigenen Hochschule als attraktiven Ort. Hierzu ist es notwendig, die Aufenthaltsqualität von Innenräumen und Freiflächen zu verbessern, um interdisziplinäres Zusammentreffen und spontane Kommunikation zu ermöglichen.

Neben dieser räumlichen Dimension besteht zunehmend Bedarf, die Zeit zwischen Präsenzveranstaltungen auf dem Campus zu überbrücken, insbesondere wenn Studierende nicht auf dem Campus wohnen oder zwischen Präsenz- und Online-Veranstaltungen wechseln müssen. Diese Tendenz ist bereits an der Nutzung von Bibliotheken durch Studierende als Lernort zu erkennen.

Barrierefreiheit und inklusive Lehre werden in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Es ist im Interesse der Hochschulen, mit der Heterogenität von Studierenden umzugehen, die Sensibilität für Inklusion weiterzuentwickeln und Lehrenden Kompetenzen für inklusive Lehre zu vermitteln. Dies setzt voraus, dass die Hochschulen finanziell dazu befähigt werden, Barrierefreiheit baulich umzusetzen und inklusive Lehre zu fördern.

1.5 Sanierungsbedarf

Die Sanierung der bereits vorhandenen Gebäudeinfrastruktur steht im Schatten der in Hochschule und Politik leichter zu vermittelnden und oftmals prestigeträchtigeren Neubauvorhaben. Aus diesem Schatten tritt sie vielfach nur heraus, wenn es bereits zu spät ist und behördlich angeordnete Schließungen drohen. Dabei liegt gerade in der rechtzeitigen Sanierung die Chance, die bestehenden Landesliegenschaften (1.) in ihrer Funktionsfähigkeit und im Wert zu erhalten, (2.) sie dabei energetisch z.B. durch Integration von Photovoltaik-Modulen auf Dächern und in Fassaden oder leistungsfähige Gebäudeleit- und Energiemanagementsysteme zu modernisieren und (3.) damit nachhaltig einen Beitrag zur CO2-Neutralität wie auch zur Reduktion der explosionsartig gestiegenen Kosten für Energieversorgung zu leisten. Ein Neubau ist oft unverzichtbar (was nicht in Frage gestellt werden soll) – aber die rollierende, beständige Sanierung der vorhandenen Streuliegenschaften und auf einem Campus konzentrierten Gebäude schafft einen dauerhaften Mehrwert für einen meist viel größeren Nutzerkreis. Die Hochschulen wie auch die verantwortlichen Landesbehörden (wie das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr) brauchen dringend die angemessene Ausstattung mit Personal und Mitteln.

2. Empfehlungen zu Veränderungen der Rahmenbedingungen

Ausgehend von den beschriebenen Bedarfen lassen sich als zentrale Herausforderungen der Abbau des Sanierungsstaus und die Beschleunigung von Vorhaben im Hochschulbau identifizieren. Ziel sollten Realisierungszeiträume von max. 6 Jahren zwischen Planungsbeginn und Fertigstellung sein, um der Dynamik der Entwicklungen gerecht zu werden. Neben Änderungen an den Prozessen sind dafür auch neue Formen der Finanzierung notwendig.

Vor diesem Hintergrund orientieren sich die folgenden Empfehlungen an drei Zielen: Koordination, Kompensation und Kooperation.

2.1 Koordination: Modelle zur Organisation des Hochschulbaus

Voraussetzung für die Beschleunigung von Hochschulbauvorhaben ist die Reduktion der Verfahrenskomplexität und die Zahl der Schnittstellen auf politischer Ebene. In Thüringen sind bisher neben den Hochschulen jeweils TMWWDG, TMIL, TFM und TLBV beteiligt. Folgende Maßnahmen werden daher vorgeschlagen:

  • Fokussierung der ministeriellen Fachaufsicht auf Budgetierung der nötigen Mittel, nicht auf Details der einzelnen Baumaßnahmen,
  • eine ganzheitliche bauliche Entwicklungsplanung als gemeinsame Aufgabe von Hochschule und TMWWDG (z.B. als bilaterale Vereinbarung zwischen Hochschule und Land, evtl. auch gesetzlich verankert im ThürHG),
  • in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates die Konzentration der Verantwortung auf das Wissenschaftsressort, um inhaltliche und bauliche Entwicklung zusammenzuführen,
  • die Übertragung der Bauherrenfunktion/-eigenschaft auf weitere Hochschulen, ggf. auch als „Teilbauautonomie“ für Vorhaben < 10 Mill. €.

Zur Optimierung der eigentlichen Planungsprozesse werden folgende Empfehlungen formuliert:

  • das Vorantreiben der Digitalisierung der Planung, der Bauausführung und des Betriebs von Gebäuden, z.B. durch den Einsatz von Building Information Modelling (BIM)
  • die Prüfung alternativer Planungsverfahren, z.B. mittels parametrischer Modelle für die Bedarfsplanung unter Einbindung der Nutzer (Entwicklung der TU Dresden),
  • die Prüfung unterschiedlicher Projektabwicklungsformen, bspw. Generalunternehmer (GU), Generalübernehmer (GÜ) bzw. Totalunternehmer (TU), Integrierte Projektabwicklung (IPA).

Zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Hochschulbaus sind auch geeignete Maßnahmen der Hochschulen notwendig. Hierzu zählen u.a.:

  • die Einführung eines zeitgemäßen, hochschulzentral gesteuerten Flächenmanagements für eine belastbare Bedarfsplanung an den Hochschulen,
  • eine engere hochschulübergreifende Kooperation bei Bau- und Sanierungsvorhaben sowie Liegenschaftsmanagement,
  • die gezielte Erfassung und Planung von Vorhaben zur Sanierung und energetischen Ertüchtigung der vorhandenen Gebäudeinfrastruktur.

2.3 Kompensation: Finanzierungsmodelle

Grundlage für eine Adressierung der aufgeführten Herausforderungen ist die Bereitstellung der notwendigen Finanzmittel. Hierzu sind einerseits Maßnahmen des Landes notwendig, andererseits sollten aber auch Möglichkeiten zur Erschließung alternativer Finanzierungsquellen geprüft werden.

Mögliche Maßnahmen des Landes sind u.a.:

  • das Auflegen eines Hochschulbauprogramms bzw. dessen Abbildung im Landeshaushalt nach dem Vorbild von Hessen (HEUREKA) oder Nordrhein-Westfalen (HMoP, HKoP) bzw. eines Programms zur Nachholung von Investitionen bei den Hochschulen in staatlicher Verantwortung wie in Niedersachsen mit den Zielen, Finanzierungssicherheit und Planbarkeit gegenüber der aktuell vorherrschenden Einzelveranschlagung von großen Baumaßnahmen zu verbessern, etwa durch das hessische Modell oder ein festes Hochschulbudget für Bau,
  • die Einführung eines Mietausgabenbudgets (z.B. im TMWWDG) für mehr budgetäre Eigenverantwortung des Wissenschaftsressorts,
  • die Einführung eines Hochschulbaukorridors nach dem Vorbild von Mecklenburg-Vorpommern,
  • die Bildung eines Sondervermögens zur Nachholung von Investitionen bei den Hochschulen in staatlicher Verantwortung nach dem Vorbild Niedersachsens,
  • bei Übertragung der Bauherrenfunktion/-eigenschaft auf die Hochschulen sollten auch die aufgabengemäßen Personalressourcen an die Hochschulen transferiert werden (ggf. auch aus dem TLBV).

Als alternative Finanzierungsmodelle sollten u.a. geprüft und weiterentwickelt werden:

  • Mieter-Vermieter-Modelle nach dem Vorbild Hamburgs,
  • die Ermächtigung der Hochschulen Kredite aufzunehmen, um selbst durchgeführte Baumaßnahmen vorzufinanzieren (Beispiel NRW),
  • die Nutzung Öffentlich-Privater-Partnerschaften (ÖPP)‚ die nicht zwingend mit einer Kostenersparnis verbunden sind, jedoch die Umsetzung beschleunigen können,
  • die Nutzung zweckgebundener und zweckungebundener Spenden und Sponsoring z.B. durch Angebote zur Kofinanzierung,
  • die wirtschaftliche Nutzung von Hochschulflächen und -räumen in den Randzeiten und/oder außerhalb des Hochschulbetriebs (z.B. Semesterferien).

2.3 Kooperation: Synergieeffekte durch stärkere Zusammenarbeit der Hochschulen

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sich durch Kooperationen der Thüringer Hochschulen bis hin zu Strukturveränderungen Synergieeffekte generieren lassen, die zu deutlichen Serviceverbesserungen führen. Beispiele hierfür sind u.a. das Hochschul-ITZentrum sowie der Kooperationsverbund Thüringer Hochschulbibliotheken (ThHoBi).

Auch für den Bereich Hochschulbau besteht hier großes Potential, etwa durch eine engere Zusammenarbeit bei Bauplanung und -durchführung, Nachhaltigkeit, Service und Gebäude- und Energiemanagement bis hin zur Etablierung einer gemeinsamen Bewirtschaftung an Standorten mit mehr als einer Hochschule. Voraussetzung hierfür ist die Durchsetzung standardisierter und digitaler Prozesse an allen Standorten.